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Corona, Lockdown und Sprachverwirrung: Satirisches Wörterbuch

2021-04-10T18:22:38.193Z


Spätestens seit Armin Laschet für seinen Brücken-Lockdown wirbt, muss der Wellenbrecher-Lockdown als gescheitert betrachtet werden. Oder? Unser Autor versucht, Ordnung ins Corona-Vokabular zu bringen.


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Der Einmach-Lockdown könnte infektionsseitig eine Ideallösung sein, bringt aber andere gesundheitliche Nachteile mit sich.

Foto: Westend61 / Westend61 / Getty Images

Und ewig lockt der Lockdown: Wer als politischer Entscheidungsträger derzeit einen Lockdown verkünden muss und dabei originell klingen will, braucht einen Bindestrich, etwas wie den Brücken-Lockdown oder den Wellenbrecher-Lockdown. Der Lockdown light ist Sprachcouture vom vergangenen Jahr.

Das klingt wie eine Nebensache, hat aber mit gleich mehreren Grundproblemen des Pandemiemanagements zu tun: Die Beschränkungen, die der Bevölkerung auferlegt werden, um das Coronavirus zu bremsen, sind wenig zielgerichtet, es fehlt die langfristige Perspektive, und wenn etwas gemacht wird, dann wird es schlecht erklärt. Oft versagt hier die Sprache – vermutlich, weil die Politik selbst sprachlos ist angesichts der Lage.

Für uns Lockdown-Konsumenten macht das die Lage verwirrend: Welcher Lockdown ist gerade angesagt? Und wie kann man den einordnen?

Ich habe versucht, mir mit einem kleinen Wörterbuch selbst ein wenig Überblick zu verschaffen. Zugegeben: Dieses Wörterbuch ist voreingenommen, stellenweise ein wenig unsachlich und definitiv unvollständig. Also eigentlich wie die gesamte Coronapolitik. Aber vielleicht hilft es Ihnen ja trotzdem.

Brücken-Lockdown, der – PR-Begriff, bedeutungsgleich mit ↗︎Lockdown. Es soll wohl signalisiert werden, dass es nicht um einen ↗︎Dauer-Lockdown geht, sondern nur ein kurzes Tal überbrückt werden soll. Aber da als Ende die Zeit genannt wird, in der ein großer Teil der Bevölkerung geimpft sein soll, ist der Brücken-Lockdown genauso nervtötend unbestimmt wie alle anderen Lockdown-Modelle auch. Begriffsverwendung: nur durch Armin Laschet.

Bund-Länder-Konferenz, die – (Virtuelles) Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, in dem bislang die Leitlinien der ↗︎Pandemiemaßnahmen für die kommenden Wochen vereinbart und anschließend umfassend ignoriert wurden. Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen dabei nur eine Rolle, wenn die Konferenzteilnehmer annehmen, sie ihren Bürgern zumuten zu können. Die Kriterien dafür sind unklar, vermutlich spielt der Blutdruck einzelner Teilnehmer eine Rolle, ihr Candy-Crush-Score oder erratische Schlagzeilen ausgewählter Boulevardmedien. Die Zukunft der Runde ist derzeit offen. Begriffsverwendung: bisweilen als Ersatz für »Regierung«.

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Corona-Experte, der / Corona-Expertin, die – Person, die sich mindestens vier Minuten lang mit ausnahmslos allen medizinischen Problemen beschäftigt hat, die im Zusammenhang mit Covid-19 auftreten. Hat es schon immer gewusst und ist jederzeit fähig zu abschließenden Entscheidungen, auch bei unsicherer oder komplett fehlender Datengrundlage. Frühere Beschäftigung: Trainer:in der Fußballnationalmannschaft der Männer. Begriffsverwendung: nur als Selbstzuschreibung, teils unausgesprochen.

Dauer-Lockdown, der – Horrorvision aller Regierenden und Regierten. Fasst man den Begriff ↗︎Lockdown weit, ist der Dauer-Lockdown längst Alltag, vgl. auch ↗︎Teillockdown. Begriffsverwendung: am liebsten gar nicht.

Faxstandard, der – Hat in puncto Informationsübermittlung Arztpraxen und Gesundheitsämter in Deutschland tief ins 20. Jahrhundert katapultiert. Funktioniert ohne Funklöcher. Begriffsverwendung: nur bei einem Freizeichen.

Impfdesaster, das – Oberbegriff für alles, was bei der Impfkampagne gegen Covid-19 schiefläuft. Zusammengefasst werden so unterschiedliche Themen wie Fehleinschätzungen bei der Impfstoffbeschaffung der Europäischen Union, Organisationsprobleme beim ↗︎Terminvergabeverfahren (vgl. auch ↗︎Faxstandard) oder auch die zahlreichen ↗︎Maskenaffären diverser Unionspolitiker. Begriffsverwendung: als folkloristischer Grundkonsens, ähnlich wie Gespräche über das Wetter oder Kritik an der Deutschen Bahn.

konsequent (Adj.) – Attribut, das häufig im Zusammenhang mit »Lockdown« fällt, ist in aller Regel aber bedeutungslos (vgl. etwa händeringend, proaktiv). Würde »konsequenter Lockdown« tatsächlich im Wortsinn verwendet, handelte es sich um die rhetorische Figur des Pleonasmus, vergleichbar einem »weißen Schimmel« oder einer »veralteten Ämtersoftware«. Begriffsverwendung: im politischen Berlin so häufig wie sonst nur Satzzeichen.

Lockdown, der – Ursprüngliche Bedeutung: Ausgangssperre oder Abriegelung mit dem Zweck, die Ausbreitung einer gefährlichen Infektionskrankheit zu stoppen. Weil Superlative allmählich knapp sind, wird das Wort mittlerweile oft auch für Maßnahmen verwendet, die die Bewegungsfreiheit von Bürgern deutlich weniger einschränken, etwa wenn Frisiersalons und Möbelhäuser in einen ↗︎Shutdown geschickt werden. Gilt als Knockdown für die Wirtschaft, aber immerhin wirkungsvoller als ein nicht enden wollender ↗︎Teillockdown. Begriffsverwendung: redundant, und daher dauerndes Nachschärfen bedürfend. Die nächsten Level dürften Super-, Mega- und Hyper-Lockdown heißen.

Lockdown light, der – Gescheiterter Versuch, den Bürgern ein Maßnahmenpaket einerseits als kraftvoll (Lockdown), andererseits als leicht verschmerzbar (light) zu verkaufen, da er ja zeitlich begrenzt sei. Enden sollte der Lockdown light im November, aber weil er weitgehend wirkungsfrei blieb, zieht sich die light-volle Erfahrung bis heute. Begriffsverwendung: abgelaufen, könnte bald durch »Lockdown Zero« ersetzt werden.

Maskenaffäre, die – Der Versuch einzelner, aber zahlreicher Bundestagsabgeordneter der CDU und CSU, aus dem Versagen von Gesundheitsminister Jens Spahn (ebenfalls CDU) bei der Beschaffung von Schutzmasken nicht nur politisches, sondern auch finanzielles Kapital zu schlagen. In der CSU hat so etwas Tradition, führte diesmal trotzdem zu Rücktritten. Begriffsverwendung: beschönigenderweise oft im Singular.

Notbremse, die – Politisches Instrument, das die Zahl der Covid-19-Ansteckungen mit Maßnahmen bremst, die man bereits Wochen zuvor hätte einsetzen sollen; die ↗︎Bund-Länder-Konferenz wollte diese Maßnahmen aber niemandem zumuten. Begriffsverwendung: vor allem durch Angela Merkel, bald vielleicht noch lauter.

Ruhetag, der – Das mysteriöseste unter den Pandemieinstrumenten. Ähnelt dem Weltuntergang insofern, als dass zwei Ruhetage, für die meisten Menschen überraschend, zunächst präzise vorhergesagt wurden, nämlich auf Gründonnerstag und Karsamstag 2021; wenig später wollten seine Propheten davon nichts mehr wissen. Was genau an den Ruhetagen passiert wäre, bleibt im Dunklen, nicht einmal Angela Merkel, die sie angekündigt hatte, konnte es erklären. Begriffsverwendung: Wirtschaftsverbände, die darin tatsächlich den Weltuntergang erkannten, sprechen vom Osterwunder von 2021.

Schnelltest, der – Kleiner Bruder des PCR-Coronatests. Ist in der Handhabung, wie kleine Brüder so sind: flott, praktisch veranlagt, aber gelegentlich etwas unzuverlässig. Wird mancherorts als Wunderwaffe gehandelt (vgl. ↗︎Tübinger Weg), ist aber letztlich nur besser, als dauernd im ↗︎Lockdown herumzuhocken. Begriffsverwendung: an der Stelle im Tagesablauf, wo man früher »Guten Morgen« sagte.

Schulöffnung, die – Feldversuch zur Überprüfung der These, dass ↗︎Coronaviren in der Lage sind, zwischen Beteiligten des deutschen Schulsystems und anderen Wirten zu unterscheiden. In jüngeren Versuchsrunden wird der Einfluss einzelner Schutzmaßnahmen auf das Infektionsgeschehen getestet, wobei die vermutlich wirkungsvollsten Schutzsysteme – etwa Luftfilter – erst später an der Reihe sind. Begriffsverwendung: zwischen Hoffen und Bangen.

Teillockdown, der↗︎Lockdown, der sich nur auf bestimmte Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft erstreckt; zieht häufig die ↗︎Notbremse nach sich. Ob es sich beim Teillockdown nicht eigentlich um einen ↗︎Shutdown handelt, lässt sich mangels nachvollziehbarer Definitionen nicht klären. Wirkt auf die Psyche vieler Menschen wie ein Rockdown. Begriffsverwendung: immer dann, wenn es verharmlosend und/oder unnötig technisch klingen soll.

Terminvergabeverfahren, das – Vorgang, der früher schlicht Termin oder Verabredung genannt wurde. Begriffsverwendung: immer dann, wenn es aufwendig, anstrengend und unnötig technisch klingen soll.

Tübinger Weg, der – 1. Straßenzug in der Gemeinde Schwabhausen, Oberbayern. 2. Versuch der Stadt Tübingen, trotz coronabedingter Schließungen öffentliches Leben zuzulassen. Die damit verbundene Öffnung etwa von Cafés, Geschäften und Kultureinrichtungen soll mit ↗︎Schnelltests abgesichert werden. Derzeit allerdings führt der Tübinger Weg womöglich in eine Sackgasse und könnte mit einem ↗︎Brückenlockdown oder einer ↗︎Notbremse beendet werden. Begriffsverwendung: in Abgrenzung zu Holzweg, Dritter Weg, aber auch ↗︎Dauer-Lockdown.

Virologe, der / Virologin, die – Person, mit Medizinstudium und akademischer Spezialisierung im Fach Virologie, die das, was viele plötzlich schon immer gewusst haben, bereits vor Monaten öffentlich vorhergesagt hat. Begriffsverwendung: in Sätzen wie: »Jeder, der behauptet, das hätte man alles schon vor acht Wochen wissen müssen – mit so was will ich mich nicht auseinandersetzen.«

Wellenbrecher-Lockdown, der – Nonsensbegriff aus dem vergangenen Herbst, der signalisieren soll, es werde etwas gegen die zweite Coronawelle unternommen. Da jeder Lockdown den Zweck hat, eine Infektionswelle zu stoppen, ist die Verwendung des Begriffs etwa so sinnvoll wie Schwimm-Boot oder Flug-Hubschrauber. Die Debatte führte bruchlos in die dritte Welle und in den ↗︎Dauer-Lockdown. Begriffsverwendung: nur noch in zeitgeschichtlichen Rückblicken.

Source: spiegel

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