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Schulen und Corona: Die verzweifelte Suche nach einer Strategie

2021-10-06T19:05:00.478Z


Masken für alle? Impfpflicht für Lehrkräfte? Oder einfach alles laufen lassen? Die Bundesländer sind sich uneins. Wie kompliziert die Lage werden kann, zeigen die Infektionen an einer Grundschule im Taunus.


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Schülerinnen in Düsseldorf (im August): Wie geht's weiter nach den Herbstferien?

Foto: Michael Gstettenbauer / imago images/Michael Gstettenbauer

Wenn sich die Kultusministerinnen und -minister am Donnerstag in Potsdam zu ihrer zweitägigen Herbstkonferenz treffen, dann steht, wenig überraschend, die Corona-Situation an den Schulen im Mittelpunkt. Ebenfalls wenig überraschend: Etliche Bundesländer wollten nicht auf die gemeinsame Sitzung warten, sondern haben schon mal Fakten geschaffen.

Beispiel Berlin: Da wurde am Montag die Maskenpflicht in Schulen bis zur sechsten Klasse aufgehoben, in Bayern sogar komplett in allen Schulen. Auch das Saarland hat die Maskenpflicht bereits komplett aufgehoben, Brandenburg teilweise – und in Mecklenburg-Vorpommern können die Kinder und Jugendlichen ebenfalls maskenfrei lernen. Andere Bundesländer überlegen noch, wie sie nach den Herbstferien wieder in den Unterricht starten wollen.

»Es gibt Erstklässlerinnen und Erstklässler, die haben ihre Schule noch nie ohne Maske betreten«, argumentiert die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Sie sei daher froh, dass die Maskenpflicht für die Klassen 1 bis 6 in der Hauptstadt jetzt wegfalle: »An unseren strikten Vorsichtsmaßnahmen halten wir aber weiter fest: Die Schülerinnen und Schüler werden sich weiter zweimal die Woche testen, in den ersten beiden Wochen nach den Herbstferien sogar dreimal die Woche.«

Warnung vor rasantem Anstieg der Infektionen

Für solche Lockerungen gibt es Rückenwind von einigen Ärztevertretern. »Ich halte eine generelle Fortsetzung einer Maskenpflicht in Schulen für unangemessen«, sagte etwa Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, in einem Interview. Und Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, assistierte: »Die Maskenpflicht im Unterricht muss jetzt bundesweit in allen Schultypen entfallen.« Es sei »völlig unangemessen, dass Kinder und Jugendliche stundenlang im Unterricht eine Maske tragen müssen, während die Erwachsenen abends maskenlos ins Lokal gehen können.«

Auch der Virologe Klaus Stöhr unterstützt die Forderung nach Lockerungen an Schulen. Der Wissenschaftler sprach sich in der »Neuen Osnabrücker Zeitung« für das Ende aller Corona-Maßnahmen für Minderjährige aus: »Sie sollten alle als geimpft oder genesen gelten und Masken in den Schulen und die Testpflicht für diese Gruppe verschwinden.« Mit den Massentests von Kindern werde »einfach nur sinnlos Geld verbrannt«.

Andere Medizinerinnen und Mediziner widersprechen vehement. Mit der Abschaffung der Maskenpflicht riskiere man in den kommenden Wochen einen massiven Anstieg der Infektionen, warnte Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, im »Kölner Stadtanzeiger«: »Wenn dann im Winter doch wieder ganze Klassen in Quarantäne müssen oder gar Schulen schließen, haben wir etwas ganz Gravierendes falsch gemacht.«

Die Masken im Unterricht hätten entscheidend dazu beigetragen, dass die Situation in den Schulen bisher halbwegs stabil geblieben sei. Masken seien »ein zentrales Element in den kommenden zwei Monaten«, sagte Jörg Dötsch, der auch Leiter der Kinderklinik an der Uniklinik Köln ist. Seine Aussagen wurden von der Virologin Melanie Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung umgehend als »sehr klug« kommentiert.

Auch Ulf Dittmer, Direktor des Virologischen Instituts der Uniklinik Essen, drängt auf eine Beibehaltung der Maskenpflicht im Unterricht. »Wir kennen die Situation nach den Ferien. Wir wissen, dass es nach Urlaubsreisen einen erheblichen Eintrag des Virus gegeben hat, der immer auch Schulen und Kitas getroffen hat«, sagte Dittmer der WAZ: »Noch vor den Ferien zu entscheiden, die Maskenpflicht an Schulen aufzuheben, grenzt für mich an Dummheit.«

Wie schnell die Infektionssituation vor Ort eskalieren kann, zeigt aktuell der Fall einer Grundschule im Main-Taunus-Kreis. Mehrere Eltern hatten sich an den SPIEGEL gewandt, weil dort Ende September bei zahlreichen Schülerinnen und Schülern Covid 19-Infektionen festgestellt worden waren. Der Kreis bestätigte auf Anfrage, dass 18 Kinder und eine Lehrkraft betroffen seien. Sechs komplette Schulklassen wurden sicherheitshalber in Quarantäne geschickt, nur drei Klassen der Grundschule durften weiter in den Präsenzunterricht kommen. Zahlreiche Eltern ließen ihre Kinder jedoch sicherheitshalber erst einmal zu Hause.

»Nach bisherigen Erkenntnissen wurde die Infektion durch eine Person in der Schule verbreitet«, heißt es in der Erklärung des Kreis-Pressesprechers. SPIEGEL-Informationen zufolge war mutmaßlich eine Lehrerin Ausgangspunkt der Infektionen in der Schule. Im Ort sorgte das für Gerüchte: Die Frau habe im Unterricht keine Maske getragen; auch habe sie im Kollegium und Eltern gegenüber den Eindruck erweckt, geimpft zu sein. Nähere Angaben will der Kreis mit Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht des Gesundheitsamts nicht machen. Die betroffene Lehrerin wollte sich gegenüber dem SPIEGEL auf Anfrage nicht äußern, auch die Schulleitung verwies auf den Kreis als Schulträger.

»Diese Situation bedeutet für viele Familien ein totales Chaos«, sagte eine Mutter. Die Verunsicherung sei groß, der Schulbesuch mit einem Gefühl von Unsicherheit verbunden. Dazu komme die Notwendigkeit, für die zu Hause gebliebenen Kinder eine Betreuung auf die Beine zu stellen. Sie halte es für zwingend, dass alle Lehrkräfte im Unterricht Maske trügen, sagt die Mutter im Gespräch, »das ist einfach eine moralische Verpflichtung gegenüber allen anderen und insbesondere gegenüber den Kindern, für die es keinen Impfstoff gibt!« Jetzt sei an der Schule genau das eingetreten, wovor viele Eltern immer gewarnt hätten: »Wieder sind die Kinder die Leidtragenden.«

»Normal ist hier gerade gar nichts«

Lehrkräfte in Hessen sind nach den aktuellen Bestimmungen nicht verpflichtet, im Unterricht eine Maske zu tragen. Und ihren Impfstatus brauchen sie gegenüber ihrer Schulleitung auch nicht offenzulegen. »In der Grundschule gab es keine Maskenpflicht, solange keine Infektion auftrat«, schreibt dazu der Main-Taunus-Kreis. Mit Auftreten der Infektion seien sofort eine Maskenpflicht verhängt und tägliche Testungen angeordnet worden.

Unabhängig von dem Fall im Taunus beabsichtigt das hessische Kultusministerium, nach den Herbstferien für zwei Wochen wieder eine allgemeine Maskenpflicht im Unterricht einzuführen. Das gelte ab dem 25. Oktober und sei verbunden mit drei Tests pro Woche für alle, die in die Schulen kommen, teilte das Ministerium auf Anfrage mit.

Im Main-Taunus-Kreis sind die Verantwortlichen unterdessen noch mit dem Corona-Ausbruch an der Grundschule beschäftigt. »Aktuell haben wir positiv noch 16 Schüler und eine Lehrkraft«, meldete der Kreis am Dienstag. Weitere fünf Schüler seien außerdem als Kontaktpersonen in Quarantäne – weil sie sich nicht getestet haben oder ein Befund noch nicht vorliege. Alle anderen Schülerinnen und Schüler sind aus der Quarantäne entlassen – der Unterricht in den Klassen findet also wieder normal statt.

Normal? Ein Vater schnalzt beim Gespräch mit dem SPIEGEL über die Situation verächtlich mit der Zunge: »Normal ist hier gerade gar nichts.«

mit Material von dpa

Source: spiegel

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