The Limited Times

Now you can see non-English news...

Quarantäne auf acht Quadratmetern: Wie Corona in mein Wohnheim kam

2021-04-11T11:10:51.927Z


Erst fühlte sich ein Mitbewohner krank, dann wurde ein weiterer positiv getestet: Innerhalb weniger Tage steckte sich meine halbe WG mit Corona an. Protokoll einer Woche voller Unsicherheit. Bild vergrößern Quarantäne im Wohnheim: Alle bleiben in ihren Zimmern (Symbolbild) Foto: Gudella / imago images Für ein Praktikum beim SPIEGEL bin ich Anfang März nach Hamburg gezogen. Ich wusste zwar, dass alles im Homeoffice stattfinden würde, aber ich wollte mir das bisschen Großstadterfahrung auf keinen Fall entgehen lassen. Jetzt wohne ich in einer WG im Studentenwohnheim, zusammen mit acht


Bild vergrößern

Quarantäne im Wohnheim: Alle bleiben in ihren Zimmern (Symbolbild)

Foto: Gudella / imago images

Für ein Praktikum beim SPIEGEL bin ich Anfang März nach Hamburg gezogen. Ich wusste zwar, dass alles im Homeoffice stattfinden würde, aber ich wollte mir das bisschen Großstadterfahrung auf keinen Fall entgehen lassen. Jetzt wohne ich in einer WG im Studentenwohnheim, zusammen mit acht weiteren Studierenden aus Deutschland, Sri Lanka, Mauretanien und den Niederlanden.

Ende März dann die Nachricht: Ein Mitbewohner ist positiv getestet worden. Es folgte eine Woche bangen Wartens: Wer hat sich noch angesteckt? Und wann ruft das Gesundheitsamt endlich an, um uns zu sagen, wie es weitergeht?

Montag

Gegen 16:30 Uhr. Als es beginnt, weiß ich noch gar nicht, dass es beginnt. Ich sitze vor dem Laptop und recherchiere für eine Meldung zur Wahl in Baden-Württemberg, als es mich plötzlich durchfährt. Kopfschmerzen – sehr starke Kopfschmerzen. Ich trinke eine Flasche Wasser und denke mir nichts, Kopfschmerzen hat schließlich jeder mal. Als sie nicht weggehen, nehme ich zwei Ibuprofen. Jetzt geht es besser. Komisch… Und irgendwie ist mir den ganzen Tag schon so kalt.

20:38 Uhr. Mein Mitbewohner schreibt in unsere WhatsApp-Gruppe: »Hey Leute, ich bin ein bisschen erkältet und habe Kopfschmerzen. Gerade war der Arzt da für einen Coronatest.« Ich denke mir immer noch nicht viel, Coronatests macht man ja oft nur zur Sicherheit.

Positiv getestete Mitbewohner: 0, Verdachtsfälle: 1, Anrufe des Gesundheitsamts: 0

Dienstag

08:51 Uhr. Ein anderer Mitbewohner schreibt: »Hey Leute, ich habe Covid-19.« Er habe zwei Schnelltests gemacht, beide positiv. Das Gesundheitsamt sei schon informiert und schicke jemanden für einen PCR-Test. Jetzt habe ich langsam Angst. Mir fallen die Kopfschmerzen und die Kälte von gestern wieder ein. Habe ich vielleicht auch Corona?

Gegen 12:00 Uhr. Ich habe in einem Testzentrum am Spielbudenplatz einen Schnelltest gemacht, der aber nicht ausgewertet werden konnte. Auch einen PCR-Test habe ich dort machen lassen, das Ergebnis bekomme ich hoffentlich morgen. Die Hausverwaltung weiß jetzt Bescheid und bittet uns alle, die Wohnung erst mal nicht mehr zu verlassen.

18:00 Uhr. Telefonat mit meinen Eltern. »Wenn du Corona hast«, sagt meine Mutter, »musst du dich viel bewegen, wegen der Thrombosegefahr«. Ich schaue mich in meinem Acht-Quadratmeter-Zimmer um. Der Gang zwischen meinem Bett und der Wand ist gerade breit genug, um mich einmal um die eigene Achse drehen zu können. Viel Bewegung. Klar.

20:30 Uhr. Jetzt ist es endgültig. Der PCR-Test des ersten Mitbewohners ist positiv. Wir sind alle Kontaktpersonen ersten Grades, weil wir uns Bad und Küche teilen und öfter zusammen essen. Das heißt, wir müssen auf jeden Fall in Quarantäne, egal ob wir positiv sind oder nicht. Glauben wir jedenfalls. So richtig leicht verständlich ist das im Internet alles nicht. Auf der Internetseite der Stadt Hamburg steht zwar, dass wir uns in freiwillige Quarantäne begeben sollen. Aber dort steht auch, dass das Gesundheitsamt über die Dauer der Quarantäne entscheidet – und darüber, ob sie aufgehoben werden kann, wenn ein negativer Test vorliegt.

Wir halten eine Krisen-Telefonkonferenz ab und überlegen uns einen Plan für die nächsten Wochen. Wir bleiben auf jeden Fall alle zu Hause. Und wir wollen einen Freund aus dem Wohnheim fragen, ob er für uns einkaufen kann. Aber der kann natürlich nicht das Essen für alle schleppen.

Positiv getestete Mitbewohner: 1, Verdachtsfälle: 2, Anrufe des Gesundheitsamts: 0

Mittwoch

Einer unserer Mitbewohner hat Diabetes, wie ich herausfinde. Er verschanzt sich in seinem Zimmer.

Gegen 13:00 Uhr. Langsam werden wir unruhig. Ein weiterer Mitbewohner hat Husten und Fieber. Der positiv Getestete ruft schon den ganzen Vormittag bei Telefonnummern an, die ihm der Arzt gegeben hat, zum Beispiel bei der des lokalen Gesundheitsamts und der des ärztlichen Notdiensts. Ohne Erfolg. Im Internet finde ich die Nummer eines benachbarten Bezirksgesundheitsamts. Dort nimmt jemand ab. Es könne bis zu drei Tage dauern, bis man sich bei dem Infizierten meldet, sagt die Frau.

Die Hausverwaltung versucht einen Einkaufsservice für uns einzurichten, als Erstes bekommen wir ein paar große Kanister Desinfektionsmittel und Papiertücher. Unsere drei Bäder werden aufgeteilt: Corona-positiv, Verdachtsfall und symptomfrei.

18:36 Uhr. Mein Testergebnis ist da, ich bin positiv. Bisher geht es mir aber noch sehr gut, ich habe nur ein wenig Schnupfen und fühle mich ein bisschen schwach. Einer unserer Mitbewohner hat Diabetes, wie ich herausfinde. Er verschanzt sich in seinem Zimmer.

Positiv getestete Mitbewohner: 2, Verdachtsfälle: 2, Anrufe des Gesundheitsamts: 0

Donnerstag

11:40 Uhr. Noch ein positiver PCR-Test. Der Mitbewohner mit den positiven Schnelltests diesmal. Mir geht es weitestgehend gut, manchmal habe ich das Gefühl, ein bisschen weniger Luft zu bekommen, und meine Nase ist oft zu. Als ich bei der 116117 anrufe deswegen, sagt die Frau am anderen Ende der Leitung, das sei bei Corona eben so, da könne sie jetzt auch nichts machen. Medikamente solle mir jemand besorgen.

Der Einkaufsservice der Hausverwaltung ist jetzt eingerichtet, aber sie wollen erst einkaufen gehen, wenn alle ihre Wünsche durchgegeben haben. Ist auch irgendwie verständlich.

Gegen 17:30 Uhr. Komischerweise wurde der Mitbewohner, der sein positives Testergebnis erst heute bekommen hat, jetzt vom Gesundheitsamt kontaktiert. Er soll uns alle als Kontaktpersonen angeben. Wir anderen haben noch immer nichts gehört.

Der Mitbewohner mit Diabetes ist ebenfalls positiv. Er erzählt mir, dass er sich Hilfe holen wollte, aber die Anweisungen der Computerstimme der 116117 nicht versteht – Deutsch ist nicht seine Muttersprache. Der Schnelltest eines anderen Mitbewohners ist negativ, und der PCR-Test des Mitbewohners mit den starken Symptomen komischerweise auch. Wir blicken langsam nicht mehr durch.

Positiv getestete Mitbewohner: 4, Verdachtsfälle: 0, Anrufe des Gesundheitsamts: 1

Freitag

Das Gesundheitsamt ruft an! Um mir mitzuteilen, dass ich Kontakt mit zwei Infizierten hatte.

09:29 Uhr. Das Gesundheitsamt ruft an! Um mir mitzuteilen, dass ich Kontakt mit zwei Infizierten hatte. Als ich sage, dass ich auch positiv getestet bin, antwortet der Mann, damit falle ich aus seiner Zuständigkeit, jemand anderes werde mich kontaktieren. Und legt auf. Irgendwie hatte ich mir mein erstes Gespräch mit dem Gesundheitsamt aufschlussreicher vorgestellt.

18:33 Uhr. Immer mehr Mitbewohner hören jetzt vom Gesundheitsamt. Die Ersten von uns sind offiziell in Quarantäne. Und es gibt neue Probleme: Unser Müll türmt sich immer höher. Und was machen wir, wenn wir Wäsche waschen müssen? Es gibt einen Waschraum im Wohnheim, aber wir dürfen unsere Wohnung ja nicht mehr verlassen. Fragen über Fragen… Die Hausverwaltung ist erst nach dem Wochenende wieder da, um sie zu beantworten.

Meine Eltern haben mir ein 20 Kilogramm schweres Versorgungspaket geschickt.

Positiv getestete Mitbewohner: 4, Verdachtsfälle: 0, Anrufe des Gesundheitsamts: 5

Wochenende

Ich habe angefangen, mir Müllsäcke um die Hände zu binden, wenn ich die Küche benutze, um weniger Viren zu verbreiten. Zuvor hatte ich immer nur gründlich desinfiziert, aber ich glaube, so ist es schlauer. Ich habe meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren und immer noch das Gefühl, ein bisschen weniger Luft zu bekommen. Ansonsten ist aber alles gut. Noch zwei weitere Mitbewohner haben Anrufe vom Gesundheitsamt bekommen. Eine Mitbewohnerin hat Symptome entwickelt, es wurde jemand vorbeigeschickt, um sie zu testen.

Positiv getestete Mitbewohner: 4, Verdachtsfälle: 1, Anrufe des Gesundheitsamts: 7

Montag

Wo denn die ganzen Kontakte herkämen, fragt der Mann am Telefon. Ich erzähle ihm, dass wir in einer WG leben. »Ach du je«, sagt er.

16:39 Uhr. Das Gesundheitsamt hat sich gerade noch mal gemeldet. Sie wussten immer noch nichts von meinem positiven Test, das Testzentrum hat das Ergebnis offenbar noch nicht weitergeleitet. Jetzt wissen sie es auf jeden Fall. Ich bekomme endlich mehr Informationen und werde offiziell in Quarantäne geschickt. Sie ist unbefristet, endet also nicht automatisch nach 14 Tagen, sondern muss von einem Arzt beendet werden – frühestens geht das am Dienstag in einer Woche.

Wo denn die ganzen Kontakte herkämen, fragt der Mann am Telefon. Ich erzähle ihm, dass wir in einer WG leben. »Ach du je«, sagt er. Und als ich ihm unsere Lebensbedingungen schildere: »Oh Gott!« Sehr beruhigend.

21:42 Uhr. Wir wissen immer noch nicht, wie wir unsere Wäsche waschen sollen. Aber heute war der Einkaufsservice der Hausverwaltung zum ersten Mal für uns einkaufen. Die Organisation mit Bezahlung, Einkaufsliste und Termin war ein wenig komplizierter als gedacht. Manche kamen mit der Tabelle nicht klar, in die wir unsere Wünsche eintragen sollen, manche wollten nicht über PayPal bezahlen, jeder wollte etwas von anderen Geschäften.

Inzwischen hat auch der letzte meiner Mitbewohner vom Gesundheitsamt gehört. Komischerweise haben alle Kontaktpersonen unterschiedliche Enddaten für die Quarantäne bekommen. Jetzt heißt es: aussitzen.

Positiv getestete Mitbewohner: 5, Verdachtsfälle: 0, Anrufe des Gesundheitsamts: 9

Source: spiegel

All news articles on 2021-04-11

You may like

Trends 24h

News/Politics 2024-04-18T09:29:37.790Z
News/Politics 2024-04-18T11:17:37.535Z

Latest

© Communities 2019 - Privacy

The information on this site is from external sources that are not under our control.
The inclusion of any links does not necessarily imply a recommendation or endorse the views expressed within them.