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Kanzlerkandidatur: Erst Strauß, dann Stoiber – und jetzt Markus Söder?

2021-04-12T06:29:09.412Z


Als dritter CSU-Chef will Markus Söder Kanzlerkandidat der Union werden. 1980 war Franz Josef Strauß gescheitert, 2002 Edmund Stoiber. Was ist heute ähnlich wie damals, was ganz anders? »Super« sei das Frühstück gewesen, sagte Angela Merkel, nachdem sie am 11. Januar 2002 Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im oberbayerischen Wolfratshausen besucht hatte. Morgens um acht gab es im Hause Stoiber Semmeln, Wurst, Käse und Orangensaft. Es ging darum, der damaligen CDU-Vorsitzenden den Appetit auf die Kanzlerkandidatur zu verderben. Damit ging das »Wolfratshauser Frühstück« in


»Super« sei das Frühstück gewesen, sagte Angela Merkel, nachdem sie am 11. Januar 2002 Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im oberbayerischen Wolfratshausen besucht hatte. Morgens um acht gab es im Hause Stoiber Semmeln, Wurst, Käse und Orangensaft. Es ging darum, der damaligen CDU-Vorsitzenden den Appetit auf die Kanzlerkandidatur zu verderben. Damit ging das »Wolfratshauser Frühstück« in die Geschichte ein.

In den Wochen zuvor hatte sich die CDU mit tatkräftiger Hilfe der CSU-Führung als eine Mischung aus rauem Männerbund und Intrigenstadl präsentiert. In der gemeinsamen Unionsfraktion machte vor allem CSU-Landesgruppenchef Michael Glos massiv und erfolgreich Stimmung. Gegen Merkel, für Stoiber sprachen sich die meisten Landesvorsitzenden der CDU aus, von Schleswig-Holstein über Rheinland-Pfalz bis Hessen.

Merkel hatte im SPIEGEL-Gespräch betont, sie sei »nicht am Ende meines politischen Weges«. Ihr blieb unter dem Druck der auf Stoiber ausgerichteten Seilschaften in der CDU nichts anderes übrig, als beim Frühstück in Stoibers Kandidatur einzuwilligen. Mit ihrem Rückzieher vermied Merkel eine drohende Abstimmungsniederlage. Eine Klausurtagung der CDU-Führung in Magdeburg segnete die Entscheidung ab.

Stoiber als »ernster Mann für ernste Zeiten«

CSU-Chef Edmund Stoiber zog in den Bundestagswahlkampf gegen die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder. Ein Jahr nach den Terroranschlägen des 11. September inszenierte er sich als »ernster Mann für ernste Zeiten«, so das Wunsch-Image seines Medienberaters Michael Spreng, ehemaliger Chefredakteur der »Bild am Sonntag«.

Das Ergebnis am 22. September 2002 war das schwächste der CDU/CSU bei Bundestagswahlen seit Gründung der Bundesrepublik: 38,5 Prozent. Sozialdemokrat Schröder blieb Kanzler, Stoiber Ministerpräsident in Bayern.

Es war der zweite Versuch eines CSU-Chefs, als gemeinsamer Kandidat der Unionsparteien in das Kanzleramt einzuziehen. Den ersten hatte 1980 der Mann unternommen, dem Stoiber damals als CSU-Generalsekretär diente: Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Für ihn sprach sich der CDU-Bundesvorstand Ende Mai 1979 aus. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl war nach der Wahlniederlage 1976 geschwächt, obwohl die Union mit 48,6 Prozent der Stimmen aus heutiger Sicht ein Traumergebnis eingefahren hatte.

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Am 2. Juli 1979 zeigte sich, dass Kohl auch die Kontrolle über die von ihm geführte CDU-Fraktion verloren hatte. Nach fast siebenstündiger Diskussion votierten die Bundestagsabgeordneten der Union mit 135 von 237 Stimmen für Strauß, 57 Prozent – sein von Kohl unterstützter Gegenkandidat, Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht, war besiegt.

Der Durchmarsch ihres Chefs gelang der CSU auch, weil sie den Christdemokraten gedroht hatten, andernfalls die Union zu spalten. Die CDU fürchtete damals eine rechte bundesweite »vierte Partei«, gelenkt von der CSU.

Strauß gegen »apokalyptische Reiter der Linken«

Die Strauß-Kampagne 1980 wurde zum hoch emotionalen Wahlkampf. Begeisterte Strauß-Fans füllten Versammlungshallen, davor drängten sich linke Demonstranten mit »Stoppt Strauß«-Transparenten. Es kam zu Krawallen und Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, etwa in Hamburg im August 1980. Strauß wetterte gegen »Bürgerkriegshorden« und »apokalyptische Reiter der Linken«.

Vielen linken Wählern schien die parlamentarische Demokratie in akuter Gefahr. Solche Ängste verstärkte, dass Strauß gute Beziehungen etwa zu Südafrikas Apartheid-Regime sowie zu Diktator Alfredo Stroessner in Paraguay pflegte; erst drei Jahren zuvor hatte er im von Augusto Pinochet beherrschten Chile eine Ehrendoktorwürde entgegengenommen. Die SPD-Parole »Wählen gehen – statt Strauß« wurde bei linksliberalen Wählern zum Selbstgänger.

Die Union, von Linken damals auch als »CSU/CDU« verspottet, hatte sich für einen skandalumtosten Politiker entschieden. 1962 hatte Strauß als Verteidigungsminister zurücktreten müssen, weil er zur SPIEGEL-Affäre und zur Verhaftung des Herausgebers Rudolf Augstein das Parlament belogen hatte. Umstritten war er zudem wegen seiner Bemühungen, der Bundesrepublik Atomwaffen zu verschaffen, und wegen seiner zwielichtigen Rolle in Affären um die Baufirma Fibag und um den Kauf von Starfighter-Kampfflugzeugen.

Doch in der Art eines Berufsboxers stand Strauß immer wieder auf. 1966 wurde er Finanzminister in der ersten großen Koalition von CDU/CSU und SPD. Im Oktober 1978 wählte ihn der bayerische Landtag nach einem Wahlergebnis von 59 Prozent zum Ministerpräsidenten. Bei vielen Konservativen seiner Generation fand Strauß ebenso starken Rückhalt wie in Teilen der Wirtschaftselite. Wem die CDU gegenüber den Sozialdemokraten und dem linksliberalen Zeitgeist zu kompromissbereit erschien, der griff auch außerhalb des Freistaats gern zum »Bayernkurier«, Zentralorgan der CSU.

Niemand mobilisierte wie Strauß – auch seine Gegner

Dort erklärten Strauß und seine Adlaten in den Siebzigerjahren wöchentlich ihr Weltbild. Es war schwarz-weiß wie einst die Fernsehbildschirme: Langhaarige Leistungsverweigerer, linksradikale Chaoten, von der DDR bezahlte Kommunisten und bis an die Zähne bewaffnete Sowjets trieben demnach die Bundesrepublik an den Rand des Abgrunds. Die sowjetische Intervention in Afghanistan, der Sargnagel für das Sowjetimperium, galt Strauß als Beleg für die wachsende Bedrohung aus dem Osten.

In diesem Szenario erschien die CSU als letzte Säule der Stabilität. Der angriffslustige Strauß mobilisierte wie kein anderer – die politischen Gegner allerdings ebenso massenhaft wie seine Anhänger. Parteiintern gab Kohl zu verstehen, er fürchte, die CDU/CSU werde mit Strauß weniger als 45 Prozent erhalten. Und genau so kam es: Bei der Wahl am 5. Oktober 1980 bekam die Union 44,5 Prozent der Stimmen; die SPD mit 42,9 Prozent konnte ihre Koalition mit der FDP fortsetzen.

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In seiner Hochburg Bayern aber blieb Strauß bis zu seinem Tod im Oktober 1988 Ministerpräsident. Der CSU-Chef wurde zum Idol junger Konservativer aus der Jungen Union Bayerns, zu denen 1983 auch der damals 16-jährige Markus Söder stieß. Noch heute rühmt er Strauß im Stil eines Personenkultes als »Begründer des Urmythos der CSU«. Nun steht Söder als Bewerber um die Kanzlerkandidatur vor einer gänzlichen anderen Konstellation als sein Idol vor 41 Jahren.

Die Talfahrt der Union hat längst einst ungeahnte Tiefpunkte passiert. Nach der jüngsten Umfrage des SPIEGEL und des Institutes Civey liegt die CDU/CSU bundesweit nur noch bei 28 Prozent der Wählerstimmen. Selbst Markus Söder, den viele in der Union als Hoffnungsträger sehen, kam 2018 bei der letzten Landtagswahl in Bayern nur auf 37,2 Prozent – anno 1978 hatte Strauß 22 Prozent mehr. Der konnte sich 1980 sicher nicht vorstellen, dass die Union einmal bangen müsste, das Kanzleramt ausgerechnet an die damals frisch gegründeten Grünen zu verlieren.

Söder löst nicht wie Strauß Allergien aus

Nach dem Scheitern von Strauß und Stoiber galt als ungeschriebenes Gesetz, ein CSU-Kandidat habe keine Siegchance. Doch das galt nur, solange die SPD annähernd gleich stark war wie die Union, solange sie mit einem anderen Koalitionspartner eine Mehrheit zu Stande bringen konnte.

Wenn Söder nun im SPIEGEL-Gespräch verkündet, im Kanzlerkandidaten der Union müssten »Person und Programm glaubwürdig verschmelzen«, und eine »klare Führungsidee« einfordert, dann klingt darin noch viel vom apodiktischen Sound des Franz Josef Strauß. In der CSU hat er eine vergleichbar patriarchalische Machtstellung erreicht. Widerspruch in seiner Partei muss er nicht fürchten.

Doch Söder polarisiert nicht annähernd so wie das Vorbild seiner Jugendjahre. Auch bei Grünen löst der ambitionierte Bayer keine Allergie aus. Ob geführt von Robert Habeck oder Annalena Baerbock, die Grünen würden sich wohl geschmeidig einem Kanzler Söder anpassen.

Das größere Problem auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur hat Söder – wie einst Strauß – mit der CDU. Wenngleich deutlich dezenter als unter Strauß, arbeitet auch heute der CSU-Landesgruppenchef daran, in der gemeinsamen Fraktion den Boden für den bayerischen Kandidaten zu bereiten.

Die Machtfrage in der Fraktion

Ähnlich wie im Juli 1979 fehlt dem CDU-Vorsitzenden die Kontrolle über seine Fraktion. Armin Laschet kann sich nicht darauf verlassen, dort eine Mehrheit zu finden. CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus gilt in der Union als eigenwillige Persönlichkeit, sein Kontakt zu CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ist offensichtlich gut. In der vergangenen Woche schwieg Brinkhaus, als CDU-Hinterbänkler ihn als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachten. Und er ermahnte auch nicht die bis zum Wochenende 58 CDU-Abgeordneten, die per Brief fordern, die Fraktion solle die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur treffen.

Diese von Brinkhaus zumindest geduldete Forderung ist keine Loyalitätserklärung für Laschet. Sie öffnet eher den Weg zu einer Entscheidung der gemeinsamen Fraktion für Söder. Aus Sicht mancher in der CDU hat sich Brinkhaus damit ins Lager der Söder-Befürworter geschlagen.

Unabhängig von der Frage der Kandidatur zeigt die unionsinterne Diskussion, dass Laschet seine Position als Parteivorsitzender nur festigen kann, wenn er auch die Fraktion kontrolliert. Dies gelang nach 1980 Helmut Kohl und ab 2002 auch Angela Merkel – was beiden den Weg zur späteren, erfolgreichen Kanzlerkandidatur bereitete.

Ohne diese Kontrolle könnte es für Laschet schwierig werden, sich an der Parteiführung zu halten. Die Wahl des CDU-Fraktionsvorsitzenden steht für Oktober an, kurz nach der Bundestagswahl. Würde er nicht Kanzler, könnte Laschet auch die Fraktionsführung übernehmen. Oder als Kanzler dafür sorgen, einen loyalen Fraktionschef wählen zu lassen.

Unter einem CSU-Kanzler wüchse in der CDU zwangsläufig das Bedürfnis, dem machthungrigen Markus Söder ein Korrektiv entgegenzusetzen. Damit wirft bereits der nächste Machtkampf in der CDU seine Schatten voraus.

Source: spiegel

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