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Cum-ex-Affäre der Warburg Bank in Hamburg: Warum ließ diese Beamtin die Steuermillionen verjähren?

2021-04-15T05:43:54.325Z


Die Hamburger Privatbank hat groß bei Cum-ex-Geschäften mitgemischt und sollte Steuern in Millionenhöhe zurückzahlen. Eigentlich einfach. Bis Politiker, Banker und Juristen eingriffen - und die Steuerbeamtin Frau P., samt persönlichen Kontakten zur Bank.


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Sicheren Schrittes: Die Finanzbeamtin Frau P.

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Manuel Daubenberger

Insgesamt 90 Millionen Euro aus Cum-ex-Geschäften wollte die Stadt Hamburg der Privatbank Warburg erlassen. Wenn es nach den Verantwortlichen um SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (62) und Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher (55) geht, war das alles ganz normaler Behördenalltag. Reporter des manager magazins haben mehr als 20.000 Seiten Akten zu dem Fall eingesehen und mit zahlreichen Protagonisten gesprochen. Das Ergebnis: Ein Lehrstück über ein paar Kernprobleme der deutschen Spitzenbürokratie. In Teil 1 können Sie nachlesen, wie in der Hamburger Finanzbehörde der Krieg der Vermerke ausbrach. Teil 2: die schwierige Motivationslage der Finanzbeamtin P.

Am 17. November 2016 werden die Finanzbeamtin Frau P. (53) und ihre Vorgesetzte in die Hamburger Finanzbehörde am Gänsemarkt bestellt. Die Behörde ist oberste Instanz in Steuersachen in der Hansestadt. Sechs Wochen zuvor hat Frau P. auf 28 Seiten dargelegt, warum die Stadt sich 47 Millionen Euro von der Privatbank M.M. Warburg zurückholen sollte, die diese mit Cum-ex-Geschäften erwirtschaftet hat. Zum Entsetzen der Bank. Die Bankiers haben Kontakt mit dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz und dem Finanzsenator Peter Tschentscher aufgenommen.

Nun sitzen den beiden Frauen aus dem Finanzamt nicht weniger als sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde gegenüber, darunter die damalige oberste Leiterin der Steuerverwaltung, Angela Nottelmann. Die Behörde ist alarmiert, ihr Chef, Peter Tschentscher, hat die Argumente der Bank weitergeleitet und um Informationen zum Sachstand gebeten.

Die Runde fällt eine Entscheidung: Hamburg verzichtet auf die Millionen. Frau P. widerruft auf schmalen zwei Seiten ihre alte Position.

Bis heute bestreiten alle Verantwortlichen, dass bei dieser Entscheidung politische Einflussnahme ausgeübt worden wäre. Doch ist das glaubwürdig? Das versucht derzeit ein Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu klären. Eine zentrale Figur dabei ist Frau P.: „Warum knickte die Finanzbeamtin vor der Warburg-Bank ein?“, fragte die Boulevardzeitung „Hamburger Morgenpost“ im Januar auf ihrer Titelseite.

Reporter des manager magazins konnten die persönlichen Akten und Aufzeichnungen von Frau P. zum Fall Warburg einsehen. Zusammen mit Unterlagen der Bank, den Aufzeichnungen von Christian Olearius (78), dem Mitinhaber und starken Mann bei M.M. Warburg, und den Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer und Ermittler ergibt sich ein dichtes Bild vom Verhalten der Beamtin, die anfangs vehement das Geld von der Bank zurückfordert – um dann das genaue Gegenteil zu tun und sich dafür sogar mit den höchsten Beamten der Republik anzulegen.

Es ist das Bild einer Beamtin, die das tut, was von ihr erwartet wird.

Man kennt sich in Blankenese

Im Januar war Frau P. in Bonn als Zeugin im Verfahren gegen einen Warburg-Manager geladen, genauso wie inzwischen acht weitere Finanzbeamte. In dieser Riege sticht Frau P. heraus. Sie wirkt eleganter mit ihrem feinen Hosenanzug und dem feinen Steppmantel. Ihre Unterlagen trägt sie in einer Chloé-Handtasche, Neupreis: rund 1600 Euro. Doch ihre Aussage ist eine Enttäuschung: In vielem bleibt sie vage, kann sich nicht erinnern.

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Chefin: Als Sachgebietsleiterin war Frau P. so etwas wie die persönliche Kundenberaterin der Bank

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Manuel Daubenberger

Wer mehr über die Beamtin erfahren will, landet im Hamburger Nobelviertel Blankenese. Diverse Mitglieder der Inhaberfamilien der Warburg-Bank leben hier in stattlichen Anwesen. Blankenese hat knapp 14.000 Einwohner, wer schon lange hier wohnt, kennt sich. Frau P. ist in Blankenese zur Schule gegangen. Ihr Vater war Notar, er soll unter anderem für die Warburg-Bank tätig gewesen sein.

Frau P. wohnt heute mit ihrem Sohn in einem vergleichsweise bescheidenen Reihenhaus. Menschen, die sie kennen, berichten von einer gewissenhaften Frau mit hohen Ansprüchen. Sie hat Jura studiert, nach der Geburt ihres Sohnes Ende der 90er wurde sie Finanzbeamtin. Der Sohn studiert heute an einer Privatuni. Sie sei eine, die immer gern dazugehört hätte, gern über ihre Kontakte erzählte, berichten Bekannte über sie. Aber in den höheren Kreisen blieb sie wohl doch immer nur die Finanzbeamtin.

Frau P. kennt auch die inzwischen verstorbene Tochter von Bankmitinhaber Christian Olearius (78). Die beiden waren fast gleich alt. Als der Fall Warburg 2016 losgeht, erzählt sie ihren Mitarbeitern in einer Sitzung freimütig, sie treffe Katharina Olearius am Abend auf einer Petersilienhochzeit. Eine Mitarbeiterin schreibt dazu später einen Aktenvermerk. Katharina Olearius ist damals Teilhaberin der Bank, sitzt im Aufsichtsrat. Ihr Mann ist einer der drei Partner der Bank.

Weder Frau P. noch die Finanzbehörde äußern sich auf Anfrage zu diesen persönlichen Kontakten. Gegenüber dem Gericht in Bonn soll die Behörde eine Erklärung abgegeben und die Kontakte eingeräumt haben. Auch dazu nimmt die Behörde keine Stellung.

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Idylle mit Elbblick: Der Hamburger Stadtteil Blankenese

Foto: Christian Charisius / picture alliance / dpa

Darf jemand mit solchen Verbindungen noch die Verantwortung für die Prüfung der Bank tragen? Auch dazu äußert sich die Behörde auf Anfrage nicht konkret. Allgemein erklärt sie: Sobald Anhaltspunkte einer möglichen persönlichen Befangenheit bekannt würden. ergreife man umgehend geeignete Maßnahmen.

Tatsächlich scheint die persönliche Bekanntschaft zunächst keinen Einfluss auf den Fall zu haben. Als Steuerfahnder aus Köln im Januar 2016 die Bank durchsuchen, ist Frau P. erst seit wenigen Monaten Chefin der für die Bank zuständigen Abteilung im Hamburger Finanzamt für Großunternehmen. Von Cum-ex, so hat sie es selbst vor Gericht berichtet, weiß sie damals nichts. Durch die Fahnder aufgeschreckt, liest sie sich ein – und findet schnell: Die Geschäfte von Warburg sehen komisch aus, da stimmt etwas nicht.

Ende April 2016 erhält die Beamtin den Bericht der Wirtschaftsprüfer von KPMG, die sich die Geschäfte der Bank im Auftrag der Bankenaufsicht Bafin angeschaut haben und auf 90 Seiten erläutern, wie verdächtig die Geschäfte sind. Zwei Wochen später fasst Frau P. ihre Bewertung der Geschäfte in einem vierseitigen Papier zusammen: Es seien typische Cum-ex-Geschäfte mit Partnern, die in anderen Fällen eindeutig illegale Geschäfte getätigt hätten. Es sei klar gewesen, dass der Profit der Geschäfte aus Steuern stammte und die Deals ohne die Auszahlung der Steuer zu Verlusten geführt hätten. Es sei von arglistiger Täuschung auszugehen. Kurzum: Hamburg muss die Millionen zurückholen.

Wesentliche Grundlage der Argumentation der Beamtin ist damals ein im Februar gefälltes Urteil des Finanzgerichts Hessen. Darin stärken die Richter einen Grundsatz des Steuerrechts, der Laien selbstverständlich erscheint, aber in den Wirren des Cum-ex-Nebels aus dem Blick geraten war: Im Zweifel müssen die potenziellen Cum-ex-Sünder beweisen, dass die Steuern, die sie ausgezahlt bekommen möchten, vorher auch gezahlt wurden. Tun sie das nicht, müssen sie die Millionen zurückzahlen. Eine effektive Waffe gegen die Cum-ex-Sünder, die ebendiesen Beweis nicht liefern können.

Die Politik muss entscheiden

Am 12. Mai 2016 begleitet Frau P. ihre Betriebsprüfer zu einem Gespräch mit den Verantwortlichen der Bank. Laut Protokollen von beiden Seiten geht es hoch her. Frau P. sagt, sie wundere sich, dass die Bank sich nicht selbst gemeldet habe. Dann verkünden die Beamten, dass es keinen Beweis gebe, dass die Steuern auch bezahlt wurden, die Warburg sich auszahlen ließ. Die Banker geben sich überrascht. Bei so einer Forderung drohe möglicherweise eine Pleite, sagen sie.

Frau P. wird nun unsicher, sie will erst Rücksprache mit der vorgesetzten Finanzbehörde halten. Glaubt man ihren Aufzeichnungen bleibt sie allerdings in der Sache hart – gewährt lediglich Aufschub.

Bild vergrößernFoto: manager magazin

In den folgenden Monaten gibt es einen engen Kontakt zwischen den Bankern und der Finanzbeamtin. In ihren eigenen Vermerken ist Frau P. gegenüber der Bank stets klar: Als die Banker darlegen, sie hätten von möglicherweise illegalen Tätigkeiten rund um die Geschäfte nichts mitbekommen, erklärt sie ihnen, dass die Bankinhaber 40 Jahre im Bankgeschäft seien und umfassende Kenntnisse haben müssten. Sie erläutert den Bankern auch, dass die Rückforderung im Steuerrecht deutlich einfacher sei als im Strafrecht und schon Indizien ausreichen würden, um Warburg in die Beweislast zu bringen.

Mehrfach bietet sie der Bank allerdings auch einen Ausweg: Die Banker sollen sich Gedanken über mögliche Lösungsmöglichkeiten machen. Dass es bei Cum-ex-Geschäften damals Deals über Teilrückzahlungen gibt, ist nicht ungewöhnlich. Und dann sagt Frau P. noch etwas: Am Ende entscheide die Finanzbehörde, in Hamburg das Landesfinanzministerium. So notiert sie es gleich mehrfach.

Es sind deutliche Hinweise – und sie kommen an, das kann man im Tagebuch von Bankinhaber Olearius nachlesen, das Ermittler der Staatsanwaltschaft Köln beschlagnahmt haben. Als Frau P. laut ihren Notizen im Juli 2016 den Warburg-Verantwortlichen berichtet, über einen Deal müsse die Finanzbehörde entscheiden, notiert Olearius im Tagebuch, er habe seinem Berater und SPD-Urgestein Alfons Pawelczyk (88) Unterlagen zu dem Fall gegeben, der solle Kontakt zu Bürgermeister Olaf Scholz aufnehmen. Später notiert Olearius im Tagebuch, dass Frau P. explizit empfohlen habe, politischen Beistand einzuholen. Und schließlich: Die Politik müsse entscheiden. In den behördlichen Akten gibt es zu solchen Gesprächen keine Notizen von Frau P., sie selbst äußert sich nicht.

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Oberste Instanz in Steuerfragen in Hamburg: Die Finanzbehörde am Gänsemarkt

Foto: Axel Heimken/ dpa

Während die Bank nun versucht, ihre politischen Kontakte zu aktivieren, schreibt Frau P. ihren Bericht. Auf den 28 Seiten legt sie im Detail die rechtliche Situation dar und argumentiert, warum Hamburg sich das Geld zurückholen sollte. Es gebe einen erheblichen Verdacht mit diversen Indizien, schreibt die Beamtin. Die Geschäfte seien im Prinzip durchgeführt worden wie kriminelle Cum-ex-Geschäfte. Die Bank habe sich dabei von Beratern helfen lassen, die nachweislich gewusst hätten, dass bei Cum-ex-Geschäften eine Steuer zurückgefordert wurde, die vorher nicht bezahlt wurde. Die Gewinne seien mit diesen Beratern geteilt worden. Zwar argumentiere die Bank, sie sei immer davon ausgegangen, alles sei mit sauberen Dingen zugegangen. Es sei aber davon auszugehen, schreibt P., dass es sich dabei um eine Schutzbehauptung handele.

Am Ende erwähnt die Beamtin die angebliche Gefährdung der Bank, dass diese die geforderte Rückzahlung finanziell nicht stemmen könne. Unter anderem weil ihr noch weitere Steuerforderungen drohten. Ihr Fazit: Trotz einiger Bedenken, der Gefahr eines möglichen Prozesses mit unklarem Ausgang und der möglichen Auswirkungen auf die Bank bittet sie die Finanzbehörde um Zustimmung zu der Rückforderung.

Grundlage der Argumentation der Beamtin ist das Urteil des Finanzgerichts Hessen, das inzwischen Einfluss auf die Arbeit der Finanzämter in ganz Deutschland hat. Die größte Sorge vieler Finanzbeamter: Wegen der enormen Aufmerksamkeit möchte man auf keinen Fall versehentlich Cum-ex-Millionen verjähren lassen.

Eine überraschende Kehrtwende

Doch in Hamburg kommt es anders. Nach dem Gespräch am 17. November mit ihren Vorgesetzten notiert Frau P.: Die Beteiligten seien sich einig, das Geld nicht zurückzufordern, bislang gebe es lediglich Indizien, keinen ausermittelten Sachverhalt. Die Erfolgsaussichten in einem Klageverfahren seien gering.

Auch ein anderer Teil des Papiers überrascht angesichts des Berichts der Prüfer von KPMG. Man habe darüber gesprochen, dass eine Rückforderung vermutlich einen unmittelbaren Zusammenbruch der Warburg-Gruppe zur Folge habe, schreibt Frau P. in ihrem Vermerk. Doch genau mit dieser Frage beschäftigt sich zu diesem Zeitpunkt seit Monaten die Bankenaufsicht, die nach der Analyse von KPMG der Bank diverse Maßnahmen verordnet hatte, um genau auf diesen Fall vorbereitet zu sein und somit eine Pleite ausschließen zu können.

Doch offenbar sind sich die Beamten der Hamburger Finanzverwaltung vollständig einig: Im Zweifel ist die Bank zu schützen.

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Institution an der Alster: Die Privatbank M.M. Warburg

Foto: Axel Heimken/ picture alliance/dpa

Es ist der Wendepunkt der Geschichte der Finanzbeamtin Frau P.: Mit der Entscheidung in der Behörde ändern sich ihre Vermerke, vom ursprünglichen Willen, die Millionen für die Steuerzahler zu retten, ist nichts mehr zu spüren. Stattdessen scheint es so, als würde sie helfen, wo sie kann.

Als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC die Bank zwingen will, für das Risiko einer Rückzahlung vorzusorgen, springt Frau P. der Bank zur Seite, spricht mit den Prüfern. Sie sei sich mit PwC einig, schreibt sie, dass die Rückzahlung für 2009 verjährt sei, und es bisher keine neuen Erkenntnisse gebe, auf deren Basis man 2010 und 2011 zurückfordern werde.

Später beruhigt sie die Wirtschaftsprüfer noch einmal, als die der Bank das Testat für den Jahresabschluss verweigern wollen. Der Grund: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte, die mit 30 Mitarbeitern die Geschäfte von Warburg im Auftrag der Bankenaufsicht Bafin durchleuchtet hatte, kommt in einem mehr als 1000 Seiten starken Bericht zu dem Ergebnis, dass die Geschäfte von Warburg mehr als zweifelhaft sind.

Doch Frau P. sagt, so hält sie es selbst in einem Vermerk fest, dass sie davon ausgehe, dass Deloitte den Bericht noch einmal überarbeiten werde. Auch ein in der Zwischenzeit gefallenes weiteres Urteil des Finanzgerichts Hessen habe keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Cum-ex-Geschäfte von Warburg. Selbst Christian Olearius ist von diesem Schritt offenbar beeindruckt. Sie habe Mut bewiesen, notiert er im Tagebuch.

Hamburg kämpft mit Berlin

Am 20. Oktober 2017 schreibt Frau P. wieder einen Bericht an die Finanzbehörde, sie kommt zum gegenteiligen Ergebnis des Vorjahres: Zwar habe man grundsätzlich in zwei Fällen inzwischen Beweise, die bezögen sich aber auf das Jahr 2009, das bereits verjährt sei, schreibt sie. Für das nun entscheidende Jahr 2010 seien keine Beweise vorhanden, nur Indizien. Auch Aussagen eines Kronzeugen, der die Bank belastet, seien nicht ausreichend. Hamburg will nun also zum zweiten Mal Forderungen an Warburg verjähren lassen.

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Keine Wendemöglichkeit: Im Finanzamt für Großunternehmen gab viel Zoff um den Fall Warburg

Foto: manager magazin

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Frau P. sind entsetzt, laufen Sturm gegen die Entscheidung. Doch das größere Ungemach kommt aus einer anderen Richtung: aus Berlin. Auf Nachfrage des Bundesfinanzministeriums meldet Hamburg Ende Oktober 2017, man plane 43 Millionen Euro aus Cum-ex-Geschäften verjähren zu lassen.

Der zuständige Unterabteilungsleiter in Berlin schreibt, er habe erhebliche Bedenken bei dem Vorgehen. Es sei nicht notwendig, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten, weil es steuerrechtlich deutlich einfacher sei, das Geld zurückzufordern als strafrechtlich. Er verweist auf das inzwischen rechtskräftige Urteil aus Hessen und bittet darum, bis Ende November Maßnahmen zu ergreifen, die eine weitere Verjährung verhindern. Es sind genau jene Argumente, die Frau P. selbst ein Jahr zuvor verwendet hatte – und die immer wieder auch von den Finanzbeamten vorgetragen wurden.

Doch Hamburg beugt sich der Bitte nicht. Am 16. November 2017 kommt es in Berlin zu einem Krisentreffen. Acht Personen sitzen dort an jenem Donnerstag zusammen: Vertreter der Kölner Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung Düsseldorf, der Hamburger Finanzverwaltung und des Bundesfinanzministeriums. Die Steuerexperten des Bundes wollen ihre Hamburger Kollegen dazu bringen, die 43 Millionen Euro zu retten. Die Fahnder aus NRW argumentieren, die Beweislast gegen Warburg sei erdrückend, so berichten es mehrere Teilnehmer der Sitzung. Die Finanzbeamten des Bundes sehen es genauso.

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Beeindruckende Kulisse: Das Bundesfinanzministerium in Berlin

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ DPA

Die Hamburger aber wehren sich, besonders vehement Frau P., die bei Teilnehmern des Gesprächs den Eindruck erweckt, dass sie die Steuermillionen auf keinen Fall zurückfordern will. Die Hamburger bewerten den Fall juristisch anders und sorgen sich vor allem, dass die Bank wegen der Steuerrückzahlung in Notlage geraten könnte. Die Stimmung ist gereizt, berichteten mehrere Teilnehmer unabhängig voneinander. Schließlich sagt der verantwortliche Unterabteilungsleiter des Bundesfinanzministeriums noch einmal unmissverständlich: Der Steuerbescheid muss aufgehoben, das ausgezahlte Geld zurückgefordert werden. P. soll gefragt haben, was das denn bedeute. Daraufhin antwortet der Unterabteilungsleiter lapidar: „Das ist eine Weisung.“

Doch auch diese Eskalation reicht noch nicht. Am 29. November schickt die Leiterin der Hamburger Steuerverwaltung, Angela Nottelmann, mit Segen von Finanzsenator Peter Tschentscher ein zweiseitiges Schreiben nach Berlin: Es gebe nur Indizien, eine Forderung habe vermutlich den unmittelbaren Zusammenbruch der Bank zur Folge. Am 1. Dezember antwortet Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium und damit der höchste Steuerbeamte der Republik: „Ich halte an meiner Weisung zur Einleitung verjährungsunterbrechender Maßnahmen uneingeschränkt fest.“

Eine starke Meinung

Einige Tage später, am 4. Dezember, informiert die Finanzbehörde Frau P. über die Weisung: Man habe nun keine Wahl mehr und müsse umsetzen. Olearius notiert am gleichen Tag im Tagebuch, Frau P. habe die Warburg-Bank informell informiert, dass der Bund gegen den Willen Hamburgs die Steuern zurückfordere.

Am 13. Dezember 2017 fährt Frau P. schließlich mit ihren Kollegen in die Ferdinandstraße, sie schreiten durch das imposante Portal und übergeben den Bankern die Bescheide. Frau P. erklärt den Bankern, dass sie auf Weisung des Bundesfinanzministeriums handele, so halten es die Banker in einem Protokoll fest. 43 Millionen Euro plus Zinsen, insgesamt 56 Millionen Euro, soll Warburg zurückzahlen.

Die Banker sind von der Kehrtwende entsetzt. In einer Partnersitzung wird über die Übergabe gesprochen: Frau P. habe ausgeführt, dass die Hamburgische Verwaltung die Rechtsauffassung nicht teile, die in dem Bescheid zugrunde liege, heißt es im Protokoll. Christian Olearius erklärt in der Sitzung, die Maßnahme lasse an rechtsstaatlichen Grundsätzen zweifeln, sei offenbar politisch motiviert, juristisch kaum zu begründen.

Vor Gericht wird P. das Protokoll der Sitzung gezeigt. Mehrfach hakt der Richter nach. Das sei „wahrscheinlich“ kein Thema für eine Besprechung mit der Bank, weicht Frau P. aus, sie glaube nicht, dass sie das so gesagt habe. Der Richter fragt zwei Mal nach, ob sie dann falsch zitiert werde. Sie gehe davon aus, sagt P., sie könne sich jedenfalls nicht genau erinnern.

Doch einiges weist darauf hin, dass Frau P. diese Position durchaus vertrat. Einen Tag später telefoniert sie noch einmal mit einem Mitarbeiter der Bank, das notiert jedenfalls Christian Olearius in seinem Tagebuch. Frau P. habe am Telefon gesagt, die Hamburger Finanzverwaltung sei weiter der Meinung, Warburg habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Der Bescheid sei nicht haltbar, die Klagechancen der Bank gut. Sie schäme sich. Das sei kein Rechtsstaat. Olearius war bei dem Gespräch nicht dabei, er berichtet vom Hörensagen. Frau P. soll gegenüber ihrer Chefin später diese Aussage bestritten haben, so berichtete diese vor Gericht.

Inhaltlich dürften die Aussagen dennoch ihrer Meinung entsprechen. Wenige Wochen später notiert Frau P. selbst über ein Gespräch mit der Steuerfahndung in NRW, sie habe den Fahndern gesagt, dass sie die von ihr selbst unterschriebenen Bescheide für rechtswidrig halte. Und sie habe erwähnt, dass sie die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums für rein politisch halte und es für die Behörde recht unangenehm sei, diesen Bescheid jetzt rechtmäßig machen zu müssen.

Zu diesem Zeitpunkt hat der nächste Kampf bereits begonnen. Frau P. ist nun ein Zahnrad im großen Streit zwischen Hamburg, Berlin und der Warburg-Bank.

Lesen Sie dazu am Freitag den Teil 3 des Warburg-Dramas: Welchen Einfluss nahm Peter Tschentscher?

Source: spiegel

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