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Corona-Tests in Unternehmen: Die unwürdige Larmoyanz der deutschen Wirtschaft

2021-04-13T15:11:22.331Z


Unternehmen sollen verpflichtet werden, Corona-Tests anzubieten – und die Wirtschaftsverbände zetern. Das lässt für die wirklichen Herausforderungen unserer Gesellschaft nichts Gutes erwarten. Bild vergrößern Corona-Schnelltest: Jedermanns gutes Recht . . . Foto: Kay Nietfeld / dpa Unternehmen in Deutschland müssen künftig einmal pro Woche allen Beschäftigten einen Corona-Test anbieten, die in den Betrieb kommen, um zu arbeiten. Der Kabinettsbeschluss sieht keine Testpflicht für die Mitarbeiter vor, auch keine zeitraubende Dokumentation. Es muss lediglich ein Testkit für diejenigen zu


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Corona-Schnelltest: Jedermanns gutes Recht . . .

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Unternehmen in Deutschland müssen künftig einmal pro Woche allen Beschäftigten einen Corona-Test anbieten, die in den Betrieb kommen, um zu arbeiten. Der Kabinettsbeschluss sieht keine Testpflicht für die Mitarbeiter vor, auch keine zeitraubende Dokumentation. Es muss lediglich ein Testkit für diejenigen zur Verfügung stehen, die es wünschen. Dabei genügt auch ein Selbsttest, den die Beschäftigten in Eigenregie zu Hause durchführen. Ausnahmsweise – nur ausnahmsweise, wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier betonte – müssen auch zwei Testeinheiten pro Woche bereitgehalten werden, und zwar für Arbeitnehmer, die in besonders engem Kundenkontakt stehen.

Die Bestimmung verdient an dieser Stelle noch einmal eine so detaillierte Beschreibung, damit klar wird, was die Bundesregierung an diesem Dienstag beschlossen hat. Bei Lichte besehen ist es nämlich nicht viel mehr als eine schichte Selbstverständlichkeit, die da noch einmal niedergeschrieben wurde – vergleichbar vielleicht mit der Vorschrift, ein Geländer an einem Baugerüst zu installieren, um die Arbeiter vor dem Herabstürzen zu sichern.

Umso bemerkenswerter ist der Aufschrei vieler Verbandsvertreter. Der Hauptgeschäftsführer des Dachverbands BDA, Steffen Kampeter, sprach am Montagabend von einem »Misstrauensvotum«. Die Testpflicht diskreditiere das freiwillige Engagement der Unternehmen, lärmte der Funktionär, der einst selbst als Staatssekretär in der Regierung saß. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, kritisierte in der »Rheinischen Post«, der Staat wolle die »Verantwortung für die Pandemiebekämpfung auf die Wirtschaft verlagern«. Bereits am Sonntag hatte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf von einer »politischen Verzweiflungstat« gesprochen, »um von eigenen Versäumnissen abzulenken«.

Es geht ums Geld

Dabei geht es der deutschen Wirtschaft angeblich gar nicht um die Verpflichtung zum Testen an sich, wie die Lobbyisten immer wieder betonen. Sie sieht sich vielmehr als Teil der Lösung als des Problems (Kampeter). Handelsverbandschef Börner verwies darauf, dass neun von zehn Unternehmen ihre Mitarbeiter bereits auf das Coronavirus testeten oder es in Kürze tun würden. Tatsächlich belegt die jüngste Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass das zumindest bei den Großbetrieben nicht so weit weg ist von der Realität.

Wieso, um alles in der Welt, machen die Wirtschaftsvertreter dann so einen Wind? Schließlich lautet ihr Credo doch sonst regelmäßig, wenn es um unvermeidbare Notwendigkeiten geht, solle man lieber zu einer staatlichen Regelung greifen, die gleiche Rahmenbedingungen im Wettbewerb schafft. Damit nicht am Ende die Vernünftigen die Dummen sind.

Der wahre Grund für die Empörung dürfte vor allem einen Grund haben: Es geht darum, wer am Ende die Rechnung bezahlt. Nach Schätzungen des Wirtschaftsrats der CDU geht es um mehr als sieben Milliarden Euro pro Monat. Das könnten manche kleine und mittelständische Unternehmen nicht stemmen, heißt es dort. Auch der Präsident des Verbands der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, fordert Hilfestellungen. Noch weiter geht Nordmetall-Chef Nico Fickinger: Der Staat solle die Testkits bezahlen, und darüber hinaus klarstellen, dass die Zeit, die für den Test benötigt wird, nicht als Arbeitszeit gerechnet wird.

Dabei setzt sich der Chor der Kritiker vor allem aus Vertretern jener Branchen zusammen, die bislang von den Folgen der Pandemie einigermaßen verschont geblieben sind. Viele Unternehmen haben normal weiter produziert, andere konnten ihre Belegschaft halten, weil die Regelungen für das Kurzarbeitergeld großzügig ausgeweitet wurden. Insgesamt hat die Regierung ja immerhin 1,7 Milliarden Euro bereitgestellt.

Wie geht gerechte Verteilung?

Weniger gut kamen die Branchen weg, für die der Lockdown praktisch einem Berufsverbot gleichkam, etwa Solo-Selbständige, Künstler, Gastwirte oder Messebauer, um nur einige zu nennen. Denn Sofort- und Überbrückungshilfen konnten den Schaden nicht wieder gutmachen, der durch die Stilllegung des Geschäfts entstanden ist. Viele dieser Betriebe wären dankbar, wenn sie noch Mitarbeiter hätten, denen sie einen Schnelltest spendieren könnten.

Außerdem können die Betriebe, die tatsächlich in Not sind, die Kosten für Schnelltests ohnehin schon im Rahmen der Überbrückungshilfe III geltend machen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums sind neben Desinfektionsmitteln und Schutzmasken auch Schnelltests und die Schulung von Beschäftigten zu Hygienemaßnahmen förderfähig.

Nun ist es jedermanns gutes Recht, sein Geld beisammen zuhalten. Und es ist grundsätzlich auch vertretbar, dass der Staat Ersatz leistet, für Beschwernisse, die er einzelnen gesellschaftlichen Gruppen auferlegt, wenn es um die Bekämpfung der Corona-Pandemie geht. Nur so ist es überhaupt möglich, die Lasten gerecht auf alle Akteure zu verteilen.

Wie gut das gelingt, ist aber im Wesentlichen davon abhängig, wie groß der Teil derjenigen ist, die sich dem gemeinsamen Ziel der gerechten Lastenverteilung verpflichtet fühlen. Wenn dagegen alle nur gleich laut »Mir geht's am schlechtesten!« rufen, ist in einer Gesellschaft, in der Macht und Einfluss zwangsläufig ungleich verteilt sind, eine gerechte Lastenverteilung unmöglich.

Deshalb ist eine gewisse Zurückhaltung zwingend geboten, vor allem von denen, deren Stimme Gewicht hat. Und die sich an einen Grundsatz erinnern sollten, den einst der damalige US-Präsident John F. Kennedy in einem ganz anderen Zusammenhang formuliert hat: »Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst.«

Angst und bange werden kann einem bei der Frage, wo diese Anspruchshaltung der Wirtschaftsvertreter hinführt, wenn es um die Lösung von Problemen mit ganz anderer Tragweite geht. Etwa beim Klimawandel. Die Verteilungskämpfe, die unserer Gesellschaft bevorstehen, werden jedenfalls eine völlig neue Dimension erreichen, wenn Dürren, Überschwemmungen oder Extremwetter unsere Lebensgrundlage völlig verändern. Mit den Kampeters, Wollseifers und Fickingers dieser Welt werden diese Fragen kaum noch einigermaßen gerecht zu lösen sein.

Source: spiegel

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