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AfD und FPÖ auf dem Vormarsch: „Übergang von populistischem zu faschistischem Projekt“

2024-01-16T18:40:51.275Z

Highlights: AfD und FPÖ auf dem Vormarsch: “Übergang von populistischem zu faschistischem Projekt’. Stand: 16.01.2024, 19:34 Uhr. Rechtspopulismusexperte Benjamin Opratko erklärt im Interview das Erstarken der FP�U – und warum Österreich für Deutschland warnendes Beispiel sollte.



Stand: 16.01.2024, 19:34 Uhr

Von: Sonja Thomaser

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Rechtpopulismusexperte Benjamin Opratko erklärt im Interview das Erstarken der FPÖ – und warum Österreich für Deutschland warnendes Beispiel sein sollte.

Wien – Trotz Skandalen, Affären und Treffen mit Rechtsextremen – rechtspopulistische Parteien sind überall in Europa stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In Österreich wird in diesem Herbst ein neuer Nationalrat gewählt, aktuell steht die rechtspopulistische FPÖ mit dem Kanzlerkandidaten Herbert Kickl in Umfragen bei 30 Prozent und damit auf Platz eins.

Dass die FPÖ tatsächlich das Land regieren wird, ist kein unrealistisches Szenario, da in Österreich, anders als in Deutschland, eine Koalition mit Rechtspopulisten immer wieder eingegangen wird. Der Rechtspopulismusexperte Benjamin Opratko erklärt im Interview, warum rechtspopulistische Parteien immer wieder gewählt werden und warum Deutschland dringend aufhören muss, zu ignorieren, was in den Nachbarländern bereits geschieht.

Warum ist die FPÖ aktuell so stark in Österreich?

Die FPÖ ist in ihrer aktuellen Position, nachdem sie durch die tiefste Krise ihrer jüngeren Geschichte gegangen ist. Nach der sogenannten Ibiza-Affäre, nach dem Ende der Regierungsbeteiligung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz, schien es einmal mehr so, als hätte sich diese Partei selbst in ihre Einzelteile zerlegt. Und jetzt steht sie auf Platz eins der Umfragen. Da spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Die Partei hat sich nach der Ibiza-Affäre intern unter Herbert Kickl konsultiert. Das ist eine Partei, die nicht nach innen demokratisch funktioniert, sondern eine, die auf einen Führer zugeschnitten ist. Diese Rolle hat Herbert Kickl übernommen, der schon lange im Hintergrund die Fäden zieht und jetzt nach vorne getreten ist.

Was wir auch nicht unterschätzen dürfen, ist, dass die FPÖ sich in der Corona-Zeit ganz offen auf die Seite jener gestellt hat, die mit den Schutzmaßnahmen nicht zufrieden waren und die Gefahr der Viruserkrankung geleugnet haben. Damit hatte die Partei ein Alleinstellungsmerkmal. Die FPÖ hat dann begonnen, auf Straßenproteste zu setzen. Kickl und andere haben auf großen Protestkundgebungen und Demonstrationen gesprochen. Und da reden wir von Demos mit bis zu 50.000 Menschen.

Alice Weidel (r), AfD-Fraktionschefin, und Herbert Kickl, FPÖ-Chef, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien. Das Thema lautet: „Gemeinsamer Kampf für Freiheit, Heimat und Demokratie - Gegen die gesellschaftszersetzende Elitenpolitik“. © Eva Manhart/dpa

FPÖ im Aufwind: „Es geht darum, die Bevölkerung zu spalten“

Was sind die Kernthemen der FPÖ, mit denen sie die Menschen abholen?

Das Kernthema der FPÖ, seit es sie in der Form gibt, also seit Mitte der Achtziger Jahre, ist die Abwertung von Menschen, die nicht als echte Österreicher gelten. Also das Migrations- und Integrationsthema. Es geht darum, die Bevölkerung zu spalten in solche, die etwas von der Politik zu erwarten haben dürfen und solche, die nichts von ihr erwarten sollen. Denen kann man dann Leistungen streichen oder man soll sie deportieren oder man soll sie erst gar nicht hereinlassen. Das ist das Thema, mit dem die FPÖ schon immer punktet. Und die FPÖ ist fast unabhängig vom Thema die Partei, die grundlegende Unzufriedenheit und Ablehnung verkörpert und repräsentiert. Die Inflationskrise des letzten Jahres, auch der Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Es war überall die FPÖ, die eine Stimme gegen alle anderen Parteien war. Und daraus entsteht eine besondere Position im Parteienspektrum.

Die FPÖ war und ist in Österreich immer wieder an Regierungen beteiligt. In Deutschland wäre es ein Tabubruch, mit der AfD zu regieren. Warum ist das in Österreich kein Problem?

In Deutschland gibt es die AfD noch nicht so lange. Das ist ein durchaus entscheidender Faktor. Es hat lange gebraucht, dass sich die extreme Rechte in Deutschland eine Parteiform gegeben hat, mit der sie Erfolge erzielen konnte. Das hängt damit zusammen, wie sich die beiden Länder nach 1945 rekonstituiert haben. In Österreich war eine postfaschistische Partei Teil der Nachkriegskonstitution. Die FPÖ oder ihre Vorgängerpartei, die VdU, war Teil der Neugründung Österreichs. Als Sammelbecken alter Nazis und des deutschen nationalen Lagers. Es war immer eine stärkere Normalisierung vorhanden als in Deutschland. 1983 war die FPÖ dann das erste Mal in einer Regierung vertreten. Da war die FPÖ auch schon eine klar rechte Partei, aber eine, die viel stärker gespalten war in einem wirtschaftsliberalen und in einem deutsch-liberalen Flügel. Das hat sich dann verändert als Jörg Haider die Partei 1986 übernommen hat.

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Zur Person

Dr. Benjamin Opratko ist Experte für Rechtspopulismus und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und kulturelle Organisation der Leuphana Universität Lüneburg.

FPÖ als Prototyp für rechtspopulistische Parteien in ganz Europa

Wie ging es dann mit der FPÖ weiter?

Jörg Haider hat die FPÖ zu dem gemacht, was wir heute als rechtspopulistische Parteien kennen. Es war ein Prototyp in ganz Europa, beispielhaft für andere rechtsextreme Parteien, die sich neu erfunden haben, als Volksparteien, als Parteien der Unzufriedenen. Lange wurde mit der FPÖ in Österreich dann umgegangen wie aktuell mit der AfD in Deutschland. Es hieß, man wolle der FPÖ keine Verantwortung geben. Mit denen könne man keine Koalitionen bilden. Diese Haltung wurde dann aufgegeben, denn sie waren einfach sehr erfolgreich. So erfolgreich, dass an ihnen wahlarithmetisch irgendwann noch sehr schwer vorbeizukommen war. Der entscheidende Tabubruch war dann, als Wolfgang Schüssel und die ÖVP nach den Wahlen 1999 im Jahr 2000 die FPÖ das erste Mal in eine Bundesregierung geholt haben. Man muss sich vergegenwärtigen, damals hat das bilaterale Sanktionen der EU-Länder gegen Österreich zur Folge gehabt. Das war eine riesige Aufregung. Als die FPÖ dann das nächste Mal an die Regierung gekommen ist, war das nur noch eine Randnotiz in den meisten internationalen Zeitungen.

Die ÖVP war also der Tabubrecher?

Das war eine ganz bizarre Geschichte. Vor der Wahl haben die ÖVP und Spitzenkandidat Schüssel gesagt, dass sie in die Opposition gehen, wenn sie nicht Erster werden. Dann sind sie Dritter geworden. Hinter der FPÖ. Die SPÖ wurden Erster. Dann hat die ÖVP aber Verhandlungen mit der FPÖ begonnen und hat es geschafft, dass sie dann den Bundeskanzler gestellt haben, obwohl sie nur drittstärkste Partei waren, indem sie mit der eigentlich stärkeren FPÖ in die Koalition gegangen sind. Die FPÖ wusste, sie haben die einmalige Chance in eine Regierung zu kommen und haben dafür darauf verzichtet, den Bundeskanzler zu stellen.

Österreich unter FPÖ-Regierung mit einem Kanzler Herbert Kickl?

Der Kanzlerkandidat der ÖVP und amtierender Bundeskanzler Karl Nehammer schließt eine Koalition mit Kickl aus, nicht aber mit der FPÖ.

Prinzipiell muss man der ÖVP zutrauen, mit der FPÖ in eine Koalition einzugehen, einfach weil sie das schon zweimal gemacht haben in den letzten 20 Jahren. Und das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her. Und da war die Partei jetzt auch nicht gemäßigter als heute. Ich glaube, dass die Formulierung „Nicht mit Kickl“ sehr bedacht gewählt ist. Damals, im Jahr 2000, war der starke Mann der FPÖ Jörg Haider und ihn hat man nicht in die Regierung gelassen. Er wurde dann außen vor gelassen, eine andere Konstellation gefunden. Ich könnte mir vorstellen, dass die ÖVP und Nehammer nach der Wahl versuchen, das ähnlich zu machen, also eine Koalition mit der FPÖ, aber nicht mit Kickl in einem Regierungsamt. Ich glaube aber auch, dass die FPÖ sich das diesmal nicht gefallen lassen wird. Dass sie sich quasi vom Regierungspartner aufoktroyieren lassen, wen sie in die Regierung schicken.

Wie realistisch ist es, dass Kickl Kanzler wird?

Das ist kein unrealistisches Szenario. Es kommt natürlich darauf an, wie die Wahl ausgeht. Es wird noch sehr viel passieren bis zum Wahltag. Aber wenn die FPÖ auf Platz eins landet, habe ich keinen Grund zu zweifeln, dass die ÖVP einmal mehr in eine Koalition mit ihnen gehen wird. Und dann würde nach allen üblichen wahlarithmetischen Regeln die FPÖ den Kanzler stellen. Und das wäre dann Herbert Kickl.

Programm von AfD und FPÖ: Staatsbürgerschaft aberkennen, Lebensexistenzen vernichten

Die AfD ist aufgrund eines Geheimtreffens mit Rechtsextremen, bei dem es unter anderem um Deportationspläne ging, aktuell groß in den Medien. Würden Österreich mit Kickl als Kanzler solche Gesetze drohen?

Ich glaube ernsthaft, dass sich in vielen Ländern gerade die Frage stellt, ob sich das, was wir als Rechtspopulismus nun seit Jahrzehnten kennen, radikalisiert. Ob wir es mit einem Übergang von einem populistischen zu einem faschistischen Projekt zu tun haben. Und ich verwende diesen Begriff wirklich mit aller Vorsicht und nicht leichtfertig. Der Unterschied wäre, dass man Grundelemente von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wirklich offensiv abbaut, damit man eben bestimmte Dinge durchsetzen kann, die sonst nicht durchzusetzen wären. Der Einsatz politischer Gewalt innerhalb des Systems.

Sie wollen sie noch nicht vergasen, aber sie wollen sie zumindest mal aus dem Land haben. Sie erzählen es uns ja die ganze Zeit. Man muss nur zuhören.

Dr. Benjamin Opratko

Die FPÖ unter Kickl ist inhaltlich nochmal weiter nach rechts gerutscht. Sie ist inzwischen nicht unterscheidbar von den Rechten innerhalb der AfD. Und will genau das, was da besprochen wurde. Sie wollen Menschen, von denen sie meinen, die gehören hier nicht hin, raus haben. Sie wollen sie noch nicht vergasen, aber sie wollen sie zumindest mal aus dem Land haben. Sie erzählen es uns ja die ganze Zeit. Man muss nur zuhören. Sie wollen Menschen die Staatsbürgerschaft aberkennen. Sie wollen Menschen Sozialleistungen so weit kürzen, dass die Lebensexistenz vernichtet wird. Das ist im Kern das Programm von Parteien wie der AfD und der FPÖ. Das sind alles populistische bis faschistische Fantasien, die da angeheizt werden.

Zuspruch für rechtspopulistische Parteien in Krisen besonders stark

In Deutschland gibt es immer wieder Stimmen, die behaupten, man solle die AfD doch einfach regieren lassen. Dadurch würde eine Art „Entzauberung“ stattfinden und sie nicht mehr gewählt werden. Auf Österreich und die FPÖ scheint diese These ja nicht zuzutreffen ...

Die FPÖ ist dann immer besonders stark und auch ähnliche Parteien in anderen Ländern, wenn die Krisenwahrnehmung stark ist. Und die ist so stark wie vielleicht seit Jahrzehnten nicht. Corona war ein wirklich dramatisches Erlebnis für viele Menschen. Nicht nur aufgrund der Krankheit selbst, sondern auch aufgrund der Maßnahmen, die getroffen wurden. Der Überfall Russlands auf die Ukraine, die Gaskrise, die Inflation. Wenn diese Krisenerfahrungen oder Befürchtungen stark zunehmen, dann nimmt üblicherweise der Zuspruch zu solchen Parteien auch zu. Die sagen, wir stellen Recht und Ordnung wieder her. Es ist eine an vergangener Größe orientierte Politik. In Großbritannien wurde der Brexit mit Take-Back-Control beworben. Donald Trump möchte Amerika „great again“ machen. Dieses Versprechen von Ordnung und Sicherheit ist dann besonders attraktiv, dass rundherum gerade alles ins Chaos abrutscht.

Es ist wirklich eine eigenartige Fantasie, dass man die Rechten nur machen lassen müsste. Und dann würden sie sich selbst entzaubern. 

Dr. Benjamin Opratko

Das heißt, Sie sagen, dass es diese Entzauberung gar nicht geben kann?

Es ist wirklich bemerkenswert, wie in Deutschland seit 20 Jahren beharrlich ignoriert wird, was rund um dieses Land passiert. In vielen Nachbarländern Deutschlands gibt es eine rechtspopulistische Partei auf ganz eins oder zwei der Umfragen. Es gibt wirklich genügend Beispiele dafür, wie rechte und rechtsextreme Parteien in Regierungen agiert haben. Und dass es eben nicht dazu geführt hat, dass die einfach entzaubert würden. Jetzt hat man ein Land wie Österreich, da spricht man sogar fast die gleiche Sprache. Und das wird beharrlich ignoriert von Parteien, von Politikern, von den Medien. Nicht allen, aber doch erstaunlich häufig. In Österreich kann man feststellen, dass die FPÖ heute so stark ist wie noch nie in ihrer Geschichte. Nachdem sie zweimal an der Bundesregierung war. Es ist wirklich eine eigenartige Fantasie, dass man die Rechten nur machen lassen müsste. Und dann würden sie sich selbst entzaubern. (sot)

Source: merkur

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